Werden uns Roboter die Jobs wegnehmen?

Ist der digitale Wandel Fluch oder Segen?

Es gab ja mal eine Zeit, da war das Mobiltelefon tatsächlich nur ein mobiles Telefon. Man konnte von unterwegs telefonieren und Textnachrichten (SMS) verschicken. Mehr nicht. Doch dann, ab dem 9. Januar 2007, begann eine neue Ära. Steve Jobs stellte in San Francisco ein benutzerfreundliches Smartphone mit extra großem Touch-Screen und virtueller Tastatur vor. Ein batteriebetriebener Bildschirm mit integriertem Computer im Hosentaschen-Format. Keine andere Erfindung hat unser Leben in so kurzer Zeit so radikal verändert. Unsere Welt ist vernetzter und schneller geworden als je zuvor. Ist dieser Wandel nun Fluch oder Segen für die Menschheit?

Nun, es liegt in unserer Hand, was wir daraus machen. Die Corona-Krise zeigt sehr deutlich, wie nützlich digitale Werkzeuge sein können. Sie helfen uns, miteinander in Kontakt zu bleiben, Informationen auszutauschen, Abläufe zu regeln, Handel zu betreiben und vieles mehr. Die Krise zeigt aber auch, dass die digitalen Helfer die menschliche Nähe nicht ersetzen können. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht genauso das direkte Miteinander. Meine Tochter ist 13 und fragte neulich, wann sie endlich wieder in die Schule darf, weil sie ihre Klasse vermisst.

Wir brauchen also beides: ein analoges und ein digitales Miteinander. Die Kunst besteht darin, beides auf kluge Weise miteinander zu verbinden. Gelingt uns das, birgt die Digitalisierung große Chancen, unser Leben insgesamt zu verbessern. Das zunächst vorweg.

Sind Roboter Jobkiller?

Wenn wir uns rund 30 Jahre zurückerinnern: Anfang der 90er Jahre, da legten die ersten Freaks mit „diesem Internet“ los. Da gab’s viele Zweifler, ob sich das Internet wirklich durchsetzt. Verrückt, oder? Bill Gates wird zugeschrieben, vor seinen Mitarbeitern gesagt zu haben: „Das Internet ist nur ein Hype.“ Sehen wir uns an, wie wir heute leben. Wie werden wir wohl in den nächsten 30 Jahren leben?

Keiner weiß, was die Zukunft bringt. Trotzdem werden mit Blick auf die Digitalisierung düsterste Szenarien entworfen.

Große Roboterhand entfernt Angestellten

Werden uns Algorithmen und Roboter die Arbeit wegnehmen, ist eine häufig gestellte Frage.

Und die Antwort ist: Ja, das werden sie. Es werden solche Tätigkeiten wegfallen, wo die Technik besser ist als der Mensch. Nur ist das nicht die entscheidende Frage. Die zwei entscheidenden Fragen sind:

  1. Wie reagiert der Arbeitgeber? Ist er daran interessiert, seinen Mitarbeitern neue Aufgaben anzubieten?
  2. Wie reagiert der Mitarbeiter? Ist er daran interessiert, sich auf Neues einzulassen und sich fortzubilden?

Wir haben es mit einer ganz klaren Einstellungsfrage zu tun: Sehe ich in der Veränderung eine Chance oder eine Bedrohung?

Ein Klima der Aufgeschlossenheit schaffen

Es fällt auf, dass Deutschland international eher als Land der Zögerer und Bedenkenträger wahrgenommen wird. Man sieht Probleme auf sich zukommen, fühlt sich mit Risiken und Gefahren konfrontiert, zweifelt, ob man der Situation gewachsen ist und zögert, den ersten Schritt zu tun. Natürlich ist es in Ordnung, auch skeptisch zu sein. Nur sollte diese Haltung nicht zu Stillstand führen, sondern im gemeinsamen Gespräch münden.

Dafür bedarf es einer ganz besonderen Atmosphäre: eine Atmosphäre der Aufgeschlossenheit, bei sich alle Beteiligten auch mal an einen Tisch setzen und versuchen, die Sichtweise des Anderen zu verstehen. Um dann im nächsten Schritt gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wenn alle beteiligten Akteure an einem echten Miteinander interessiert sind, werden sie Wege finden, um die neue Herausforderung anzupacken. Und in einer solchen Atmosphäre macht das Suchen nach Lösungen natürlich Spaß. Positive Gedanken und Gefühle sind Treiber für Kreativität und lassen die Ideen sprudeln.

Was wir in Deutschland also dringend brauchen, ist ein Klima, wo neue Ideen geboren und nicht behindert werden. So wie beispielsweise in Estland. Das Ausprobieren, Machen und aus Fehlern lernen sind typisch für das Land.

Verwaltungsaufwand reduzieren wie in Estland

Der nördlichste der drei baltischen Staaten ist flächenmäßig etwa so groß wie Niedersachsen und mit 1,3 Millionen Einwohnern dünn besiedelt. Ein Drittel der Bevölkerung lebt in der Hauptstadt Tallinn. Und dieser kleine Staat ist in Europa Vorreiter bei der Digitalisierung.

Die Politik hat ganz klare Prioritäten gesetzt. Nahezu das ganze Land wird mit einem kostenlosen Hot-Spot-Netz abgedeckt. Alle Schulen sind online. Die Bürger können 99 % der Verwaltungsdienstleistungen online erledigen. Bis auf 3 Ausnahmen: Bei Eheschließung, Scheidung und Immobilienkauf ist die persönliche Anwesenheit erforderlich.

Selbst bei einer Geburt laufen die lästigen Formalitäten automatisch im Hintergrund ab. Das Krankenhaus schickt die Daten ans Einwohnermeldeamt. Dieses wiederum leitet die Daten automatisch an die Krankenversicherung und an die Behörden weiter, um Kindergeld und andere Sozialleistungen zu beantragen. Die Eltern müssen nichts machen. Der Staat arbeitet für sie und erledigt das Nötige. Das mehrfache Ausfüllen von Anträgen entfällt. Die Eltern erhalten völlig unbürokratisch die ihnen zustehenden Leistungen. Für die Behörden verringert sich der Verwaltungsaufwand. Die Mitarbeiter haben mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben. Als praktischer Nebeneffekt der Digitalisierung wurde die Bürokratie weitestgehend abgebaut

Bevölkerung, Politik und Wirtschaft profitieren von leicht zugänglichen, digitalen Angeboten. Angst vor unbefugtem Zugriff auf ihre Daten haben die Esten nicht. Jeder Datenzugriff wird registriert. Wenn beispielsweise eine Behörde Informationen beim Einwohnermeldeamt abfragt, ist in einer Protokolldatei nachlesbar, wer wann was gemacht hat. „X-Road“ nennt sich das System, das eigens für den sicheren Datenaustausch entwickelt wurde.

Intelligente Stromnetze für die Energiewende

Ohne die Digitalisierung wird es auch keine erfolgreiche Energiewende geben. Solar-, Windkraft-, Wasserkraft- und Biogas-Anlagen sind dezentrale Strom-Lieferanten, die zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich viel Strom ins Netz einspeisen. Genauso gibt es große Schwankungen beim Stromverbrauch. Mal ist die Nachfrage größer – mal niedriger.

Solaranlage, Wimndräder und Energiespeicher

Ein intelligentes Stromnetz sorgt dafür, dass diese Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden. Ein solches „intelligentes“ Netz ist das so genannte „Smart Grid“. Es steuert die Erzeugung, Speicherung und den Verbrauch der Energie. So gelangt der Strom aus den vielen kleinen dezentralen Anlagen ins Stromnetz und wird an verschiedenen Orten zwischengespeichert. Das Stromnetz wird optimal ausgelastet und bleibt Dank intelligenter Kommunikations-, Mess-, Steuer-, Regel- und Automatisierungstechnik stabil.

Elektroautos wären ein wichtiger Baustein im Smart Grid. E-Autos sind ja im Grunde nichts anderes als Akkus auf 4 Rädern mit Gehäuse. Diese überdachten Akkus stehen im Schnitt 23 Stunden pro Tag ungenutzt herum. Dabei könnte man sie viel besser nutzen: als mobile Stromspeicher. Mit der „Vehicel to Grid“-Technologie (V2G) wären Elektroautos in der Lage, den Strom nicht nur an der Ladesäule zu zapfen, sondern ihn auch in umgekehrter Richtung ins Stromnetz wieder abzugeben. Gegen eine lohnende Vergütung versteht sich.

Morgens, wenn die Nachfrage nach Strom und damit auch der Preis steigt, könnte der vollgeladene Akku einen Teil seines Stroms ins Netz einspeisen. Die volle Akku-Ladung wird ja selten auf der Fahrt bis zur Arbeit aufgebraucht. Steht das Auto dann auf dem Firmengelände, wird es wieder aufgeladen. Dank Smart Grid zu einem Zeitpunkt, wo die Nachfrage gering und der Strompreis günstig ist.

Ressourcen schonen und Energieverbrauch senken

Gleichzeitig trägt auch die Digitalisierung zum steigenden Energie- und Ressourcenverbrauch bei. Jede Suchanfrage, jedes hochgeladene Foto oder jedes gestreamte Video erhöht das weltweite Datenaufkommen. Diese Daten werden nicht in einer imaginären weißen Wolke abgelegt, sondern auf realen Servern in Rechenzentren. Dort werden die Daten gespeichert, die wir jede Sekunde produzieren.

Und das Datenaufkommen wächst von Jahr zu Jahr. 80 % der weltweiten Datenströme gehen allein auf das Konto von Videos. Wobei die Online-Videos mit 60 % das größte Schwergewicht sind. Die französische Denkfabrik „The Shift Project“ hat die Verteilung der Datenströme in einem Torten-Diagramm dargestellt.

Tortendiagramm | Verteilung der Online-Datenströme

Digitale Technologien emittieren heute 4% der Treibhausgasemissionen – und damit mehr als die zivile Luftfahrt. Der Energieverbrauch, der für digitale Technologien benötigt wird, steigt jährlich um 9%.

Damit steht auch die IT-Branche vor der Aufgabe, die Produktion und Nutzung digitaler Technologien so ressourcenschonend und energiesparend wie möglich zu gestalten. Das ist die nächste Herausforderung, vor der wir stehen.

Das Menschsein nicht vergessen

Bei aller Digitalisierung sollte man sich klar machen, dass der Mensch das persönliche Miteinander braucht. Je mehr Tätigkeiten in Zukunft von Computern, Algorithmen oder Robotern übernommen wird, desto wichtiger werden unsere sozialen Kompetenzen. Mit der zunehmenden digitalen Vernetzung wird es immer mehr darauf ankommen, wie gut wir „miteinander können“. Die Arbeit der Zukunft wird immer komplexer. Das erfordert ein möglichst reibungsfreies Zusammenspiel aller Akteure, die an den Problemlösungen beteiligt sind. Zickenkriege und Machtspielchen, Burnouts und Mobbing schaden der Produktivität erheblich. Wer solchen Konflikten keinen Nährboden bietet oder sie auf Sachebene gut lösen kann, hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Im Wohlbefinden der Ressource Mensch liegt ein Potenzial, das bislang zu wenig beachtet wird. Der Schlüssel für das Miteinander in der vernetzten Welt ist respektvolle und wertschätzende Kommunikation auf allen Ebenen. Diese Werte sollten von den Führungskräften auch vorgelebt werden – sonst können Sie’s vergessen…

Digitales Timeout

Zu guter Letzt noch ein paar Gedanken zum Thema Achtsamkeit. Eigentlich ist es die natürlichste Sache der Welt, sich eine Auszeit zu nehmen, wenn einem alles zu viel wird. Körper und Geist brauchen Zeit, um neue Kraft zu schöpfen. Doch erkennen wir rechtzeitig, wann die Auszeit nötig ist? Die wachsende Anzahl der Burnouts deutet darauf hin, dass dem nicht so ist. Und das hat auch mit der voranschreitenden Digitalisierung zu tun.

Tagtäglich überschwemmen neue Apps und Produkte den Markt. Abläufe werden immer schneller und unübersichtlicher. Das erzeugt bei vielen Menschen einen Druck, dem sie nicht gewachsen sind. Sie können mit dem vorgelegten Tempo nicht mehr mithalten, fühlen sich ausgebrannt und abgehängt.

Wir leben noch in der alten Welt, in der wir von klein auf darauf getrimmt werden, Höchstleistung zu bringen. Doch wir sind keine Maschinen. Und die Technik wird immer schneller sein als der Mensch. Auf Dauer werden wir nicht mithalten können.

Deshalb brauchen wir im digitalen Zeitalter eine regelmäßige Auszeit. Zeit ist ein kostbares Gut. Schenken Sie sich jeden Tag diese Zeit. Aus Liebe zu sich selbst. Lassen Sie sich das Tempo nicht von der Technik vorgeben – sondern bestimmen Sie es selbst. Wir sind doch gerade erst dabei, den vernünftigen Umgang mit digitalen Tools auszuloten. Was für den einen zu viel ist, kann für den anderen zu wenig sein. Der Mensch ist ein Individuum.

Natürlich braucht jede Veränderung Zeit. Doch was heute neu und unvertraut ist, wird morgen selbstverständlich und Routine sein. Wir gewöhnen uns erstaunlich schnell an das Neue. So schnell wie das Smartphone unser Verhalten verändert hat, so schnell kann auch das digitale Timeout zum festen Bestandteil unseres Lebens werden. Wenn wir es wollen, wird es so kommen.

Beine hängen entspannt aus Auto

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