Wie wir unsere Kinder auf die Zukunft vorbereiten

Der bekannte Hirnforscher und Buchautor Gerald Hüther wurde in einem YouTube-Interview gefragt, was er bei der Erziehung seiner eigenen Kinder hätte besser machen können. Darauf antwortete er sehr ehrlich, dass es für ein Kind relativ schwer sei, bei einem Vater groß zu werden, der viel unterwegs sei und der sich auch sehr intensiv mit bestimmten Themen beschäftige. Er sei dann nicht präsent.

„Die warten, dass ich wiederkomme und ich bin noch irgendwie in einem ganz anderen Film. Ich sitz‘ dann vielleicht an einem Buch und die wollen mit mir ‚Mensch, ärgere Dich nicht!‘ spielen.“

Gerald Hüther

Heute würde er wahrscheinlich vieles anders machen. Das würde jedoch bedeuten, dass er nicht der geworden wäre, der er heute sei…

Mir ging seine Antwort unter die Haut. In den ersten Lebensjahren meiner Tochter war ich beruflich extrem viel unterwegs. Ich moderierte 10 Jahre lang beim ZDF die 3sat-Wissenschaftssendung „nano“. Das bedeutete, montags um 6 Uhr früh mit dem Taxi zum Flughafen und freitags abends gegen 21 Uhr erst wieder zuhause. Zum Glück hat meine Tochter einen liebevollen Vater. Die zwei sind seitdem ein super Team.

Für ein Kind voll und ganz da zu sein, ist schwierig, wenn man beruflich eingespannt ist. Kinder haben feine Antennen und merken, wenn Mama oder Papa nicht wirklich präsent sind. Das heißt, das allerwichtigste, was Kinder von ihren Eltern brauchen, sind:

Liebe und Zeit

Hinsichtlich des Faktors Zeit stecken viele Eltern in einem Dilemma. Sie müssen oder wollen in einer vorgegebenen Zeit ein Maximum an Aufgaben bewältigen. Ich gehöre übrigens auch zu diesen Menschen. Erst wenn das Pensum geschafft oder die To-Do-Liste abgearbeitet ist, bin ich zufrieden und kann entspannen. Ein fataler Fehler. Dieser Druck schadet der psychischen Gesundheit. Untersuchungen belegen, dass die Anzahl der psychischen Erkrankungen seit Jahren steigt. In Umfragen geben immer mehr Menschen an, von ihrer Arbeit gestresst zu sein. Was läuft da verkehrt?

Ist der digitale Wandel schuld, dass sich die Uhren gefühlt schneller drehen als früher? Warum beantworten wir eMails, sobald sie reinkommen? Wäre dafür nicht auch am Ende des Arbeitstages Zeit, wenn man seine reguläre Arbeit beendet hat? Für dringende Anfragen gibt es immer noch das Telefon.

Aber was, wenn der Chef möchte, dass eine zusätzliche Aufgabe sofort erledigt werden muss? Dann müssen Sie Ihrem Chef freundlich klar machen, dass Sie allzu gern dazu bereit seien. Sie würden sehr gern alle Aufgaben sofort erledigen. Doch da Sie sich nicht zerteilen könnten, müssten dann alle anderen Aufgaben warten. Sollten Sie überraschenderweise früher fertig werden und sogar die zurückgestellten Aufgaben erledigt haben, freut sich Ihr Chef doppelt. Er hat ja nicht damit gerechnet. Von vornherein erwarten sollte er es jedoch nicht. Sie selbst übrigens auch nicht.

Was sagt uns das? Sie selbst haben das Zepter für Ihr persönliches Zeitmanagement in der Hand. Sie entscheiden, was sofort getan werden muss – und was warten kann. Sie sind keine Maschine. Allem Selbstoptimierungswahn zum Trotz. Es ist Ihr Leben! Was nützt es Ihnen, wenn auf Ihrer Trauerfeier gesagt wird: „Sie/Er war 200 % zuverlässig und hat die ihr/ihm übertragenen Aufgaben schneller bearbeitet, als ihr/sein Chef Blaubeerkuchen sagen konnte.“

Druck durch technischen Fortschritt

Ein Treiber für den zunehmenden Leistungsdruck ist zweifelsohne der wachsende technische Fortschritt. Was früher mehrere Tage in Anspruch nahm, gelingt heute in wenigen Stunden, Minuten oder gar Sekunden. Doch wie nutzen wir diesen Zeitgewinn? Gönnen wir uns mehr Erholung? Verbringen wir mehr Zeit mit der Familie oder mit Freunden? Mitnichten. In der gewonnenen Zeit erledigen wir – ganz automatisch – schon wieder andere Dinge. Immer mehr, immer schneller… Macht das glücklich?

Ein ganz typisches Bild können Sie auf Spielplätzen beobachten. Anstatt mit dem eigenen Kind zu spielen und Spaß zu haben, schauen viele Eltern auf ihr Smartphone. Natürlich spürt das Kind, dass Mama oder Papa zwar anwesend, aber nicht wirklich da sind.

Machen Sie sich mal den Spaß und fragen Sie Menschen in Ihrem Umfeld, was sie unter „Fortschritt“ verstehen. Ich wette, die meisten werden sich auf technische Entwicklungen beziehen. Dabei meint „Fortschritt“ alle möglichen Veränderungen in unserer Gesellschaft. Dazu gehören genauso die sozialen Innovationen. Nur nehmen sie noch nicht den Rang ein, der ihnen gebührt. Sie fristen ein jämmerliches Dasein im Schatten der technischen Innovationen.

Soziale Innovationen fördern

Dabei brauchen wir stabile soziale Strukturen, wenn die technischen Abläufe durch Digitalisierung und Globalisierung immer schneller und unübersichtlicher werden.

Selbst der chinesische Unternehmer Jack Ma gibt das zu bedenken. Er gründete vor 20 Jahren die chinesische Handels-Plattform ALIBABA. Heute ist der gelernte Lehrer Multi-Milliardär. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2018 gab er dem Publikum seinen Rat mit auf den Weg, wie wir unsere Kinder auf eine Zukunft mit Robotern und Algorithmen vorbereiten sollten.

Jack Ma zählte diese 5 Fähigkeiten auf, die wir unseren Kindern beibringen sollten:

  • Werte
  • Überzeugung
  • unabhängiges Denken
  • Teamwork
  • Mitgefühl

Diese Fähigkeiten sollten wir fördern, weil uns das von den Maschinen unterscheidet. Je mehr Abläufe von Computern und Algorithmen übernommen werden, desto wichtiger werden diese „weichen Faktoren“ für das Zusammenleben in einer globalisierten und digitalisierten Welt.

Lernen muss Spaß machen

Es gab in meiner Klasse einen Jungen, der konnte sich partout nicht merken, das sieben mal acht 56 ist. Die „56“ wollte einfach nicht hängenbleiben. Jedes Mal, wenn beim Blitzrechnen 7 mal 8 gefragt wurde, war er blockiert und er ärgerte sich darüber. Was tat meine Lehrerin? Sie vereinbarte mit ihm eine lustige Begrüßungsformel. Statt „Guten Morgen“ fragte sie ihn zum Unterrichtsbeginn als allererstes: „Was ist 7 mal 8?“. Nach ein paar Tagen hatte er‘s drauf: seine Blockade war gelöst und er antwortete strahlend „56!“.

Diese Lehrerin werde ich nie vergessen. Sie war mein Vorbild. Lernen muss Spaß machen. Das ist so wichtig! Weil wir uns dann aus eigenem Antrieb damit beschäftigen und gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Wie schnell ist ein spannendes Buch durchgelesen? Und wie lange quält man sich, wenn sich der Text zäh liest? Wenn Schüler keine Lust auf Mathe haben, ist es dem Lehrer möglicherweise nicht gelungen, den Unterrichtsstoff leicht verständlich und unterhaltsam zu vermitteln.

Der Schlüssel liegt im Wecken der Begeisterung. Ohne Begeisterung – kein langfristiger Lernerfolg. Das erfordert:

  1. kleinere Klassenstärken
  2. kreative Lehrer
  3. und Schüler, die sich respektvoll verhalten.

Der Mensch lernt sein ganzes Leben lang. Phantasieloses Abarbeiten von vollgepfropften Lehrplänen verdirbt die Lust am Lernen.

Perspektivwechsel „soziales Jahr“

Bevor die Kinder nach dem Schulabschluss ihre Ausbildung beginnen, sollte man ihnen die Chance für eine wichtige Lebenserfahrungen geben: Ein freiwilliges soziales Jahr. Ob im In- oder Ausland ist völlig egal. Es sorgt für einen nötigen Perspektivwechsel. Es bietet Orientierung. Und es gibt den jungen Leuten Zeit, an den eigenen Zukunftsplänen zu schmieden. Vielleicht sieht man die Welt danach mit ganz anderen Augen.

Wie fühlt es sich an, blind zu sein oder im Rollstuhl zu sitzen? Wie einsam sind ältere Menschen im Heim? Wie lebt es sich in Afrika ohne Trinkwasserbrunnen in der Nähe? Wie sorgen wir für mehr Grün auf unserem Planeten? Ein soziales Jahr würde für einen wertvollen Blick über den Tellerrand sorgen. Die Palette der Möglichkeiten ist breit, wo sich Nützliches für die Gesellschaft leisten ließe. Umfragen zeigen, dass das Interesse der jungen Leute an einem sozialen Jahr groß ist. Was fehlt, ist eine breite gesellschaftliche Anerkennung für Menschen, die ehrenamtlich tätig sind.

Kinder liegen auf ihren Skateboards

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