Zugegeben, die folgende Geschichte liegt schon etwas zurück. Sie sorgte im November 2018 in den sozialen Netzwerken für Klicks und Kommentare. Ich finde sie immer noch köstlich und möchte mein 7. Kapitel damit beginnen:
Einer Radfahrerin kommt auf einer Fahrradstraße ein Kleintransporter entgegen. Kennen Sie Fahrradstraßen? Radfahrer haben Vorrang, Autofahrer sollten Behinderungen vermeiden. Hier sehen Sie die Stelle, wo das war. Etwas eng für zwei…Die Zwei trafen nun aufeinander. Keiner wollte den anderen vorbeilassen. Was passierte? Beide standen „Nase an Nase“ und bewegten sich 40 Minuten nicht von der Stelle. Bis die Polizei kam…
Wissen Sie, was mich hoffnungsvoll stimmt? Beide hatten offenbar viel Zeit! Dass es das noch gibt in der heutigen Zeit.
An einer so ungünstigen Stelle wie oben hätte ich dem Kleintransporter vermutlich einfach den Vortritt gegeben. Vielleicht hätte sich der Fahrer mit einem Lächeln bedankt…
Deutsche Freundlichkeit im internationalen Vergleich
Wir Deutschen attestieren uns selbst, nur mittel-freundlich zu sein. In einer weltweiten Studie („World Social Capital Monitor“) wurden 30.000 Menschen aus 141 Ländern befragt, wie freundlich sie sich einschätzen. Die Deutschen gaben sich auf einer Skala von 1 bis 10 eine 6,9.
Warum sind wir so unfreundlich? Ginge es auch anders? Der Straßenverkehr und die sozialen Netzwerke sind gute Beispiele dafür, wie gereizt manche durch’s Leben gehen. Hauptsache, man ist der Erste – an der roten Ampel. Hauptsache, man ist (vermeintlich) im Recht.
Im Netz müssen unzählige Administratoren darauf achten, dass die allgemeinen Umgangsregeln auch beim Kommunizieren eingehalten werden. Der Internet-Knigge trägt den schönen Namen „Netiquette“. Und auf den Straßen regelt die „Straßenverkehrs-Ordnung“ das Miteinander. Auch hier lautet die oberste Grundregel: „gegenseitige Rücksichtnahme“.
„Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“
Verantwortung & Respekt
Und das sind sie: die zwei Schlüsselwerte für das Zusammenleben auf unserer Welt. Verantwortung und Respekt. Jeder sollte für das eigene Handeln Verantwortung übernehmen und sich rücksichtsvoll verhalten.
Wenn Sie irgendwo in einem abgeschiedenen Winkel leben, können Sie auch am Sonntagmorgen mit dem Laubbläser Ihre Einfahrt freipusten – und bis weit nach Mitternacht laut feiern. Ist ja kein Nachbar in der Nähe, den’s stört. Wo dagegen viele Menschen aufeinandertreffen, ist man rücksichtsvoll. Wenn Sie beispielsweise mit dem Auto in einer Einbahnstraße unterwegs sind, und vor Ihnen fährt ein Radfahrer, an dem Sie nicht vorbeikommen, müssen Sie halt hinterherzuppeln. Der Radfahrer kann ja nichts dafür, dass Sie’s eilig haben. Vielleicht haben Sie Glück, er ist gut drauf und lässt sie vorbei. Soll’s geben.
Die Freundlichkeiten-Kette
Aber wussten Sie, dass Sie dazu beitragen können, die Häufigkeit solcher Glücksmomente zu erhöhen? Es gibt ein verblüffendes Experiment aus der Psychologie, dass Sie ohne viel Gedöns nachmachen können. Und das geht so:
Geben Sie einem Fußgänger einfach mal den Vortritt, wenn sich Ihre Wege kreuzen. Auch wenn Sie’s gar nicht müssten. Der Fußgänger wird möglicherweise überrascht sein. Er hat ja nicht damit gerechnet. Dank Ihrer netten Geste ist dieser Fußgänger jetzt positiv geladen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er dem nächsten Radfahrer oder Autofahrer den Vortritt lässt.
Diese zufälligen Gesten der Freundlichkeit („random acts of kindness“) wurden experimentell untersucht. Im folgenden Video beschreibt die bekannte Management- und Motivations-Trainerin Vera F. Birkenbihl das Prinzip am Beispiel einer präparierten Telefonzelle:
Zeit für mehr Freundlichkeit
Ein wenig mehr Freundlichkeit würde uns allen guttun. Das ist der Grund, weshalb ich dieses 7. Kapitel der „Freundlichkeiten-Kette“ gewidmet habe. Wir sollten das Leben mehr schätzen. Wenn Sie in einer ruhigen Minute ganz bewusst zurückblicken, werden Sie feststellen, wie schnell die letzten Jahre vergangen sind. Das weltweit gefeierte Millennium ist jetzt schon 20 Jahre her. Die hässliche Mauer, die Ost und West teilte, fiel vor 30 Jahren. Und vor 50 Jahren bat Bundeskanzler Willy Brandt mit seinem Kniefall im ehemaligen Warschauer Ghetto für die Verbrechen der Deutschen im 2. Weltkrieg symbolisch um Vergebung.
Welcher Jahrgang sind Sie? Ich bin Jahrgang 1969. Als ich geboren wurde, lag das Kriegsende gerade mal 24 Jahre zurück. Als Kind erschien mir das Jahr 1945 unfassbar lange her. Aus heutiger Sicht sind 24 Jahre gar nichts. Ich bin so dankbar, nie einen Krieg erlebt zu haben, wie meine Großeltern.
Die Zeit ist ein kostbares Gut. Gnadenlos schreitet sie voran, egal, was passiert. Also machen wir das Beste aus unserem (kurzen) Leben. Die Freundlichkeiten-Kette hilft dabei. Probieren Sie’s einfach mal aus![ff id=“6″]