Neue Konzepte gegen den Stau

Radfahrer in Hamburg

Die erste Fernfahrt in einem Automobil

Wussten Sie, wer die allererste Fernfahrt mit einem Automobil absolvierte? Es war Bertha Benz, die Ehefrau des Ingenieurs Carl Benz. Er tüftelte in Mannheim an einem pferdelosen Wagen und meldete am 29. Januar 1886 ein Patent für sein dreirädriges „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ an.

 

Doch für Fahrten außerhalb Mannheims erteilten ihm die Behörden keine Genehmigung. Der seltsame Motorwagen stieß auch in der Öffentlichkeit auf Skepsis. Und Carl Benz musste für sein Automobil viel Spott und Kritik einstecken, wie man in seinen Memoiren nachlesen kann:

„Wie kann man sich in einen unzuverlässigen, armseligen, lautlärmenden Maschinenkasten setzen, wo es doch genug Pferde gibt auf der Welt und die elegantesten Kutschen und Droschken obendrein.“
Aus: Carl Benz „Lebensfahrt eines deutschen Erfinders“, Severus Verlag, 2013

Nur ein einziger Mensch glaubte fest an seine Erfindung. Es war seine Ehefrau Bertha. Sie motivierte ihn, nicht aufzugeben. Ohne sein Wissen trat sie im August des Jahres 1888 gemeinsam mit den beiden Söhnen Eugen und Richard eine rund 100 km lange Probefahrt von Mannheim nach Pforzheim an.

„Der ahnungslose Vater schlief noch, als die Drei in aller Herrgottsfrühe in höchster Glorie davonknatterten. Eugen saß am Steuer, die Mutter neben ihm und Richard auf dem kleinen Rücksitz.“
Aus: Carl Benz „Lebensfahrt eines deutschen Erfinders“, Severus Verlag, 2013

Es wurde eine abenteuerliche Fahrt. Für die 100 Kilometer brauchten sie 12 Stunden. Da es keine Straßenschilder gab, orientierten sich die Drei an Flussläufen und Bahnlinien. Und unterwegs musste Bertha Benz viel improvisieren. Als das Zündkabel durchgescheuert war, nahm sie ein Strumpfband als Isoliermaterial. Die verstopfte Benzinleitung reinigte sie mit einer Hutnadel. Bei den Dorfschustern mussten Lederauflagen für die Holzbremse gekauft und aufgenagelt werden. Wasser für die Motorkühlung wurde in Gaststätten und Brunnen besorgt. Und das Benzin für den Antrieb gab es in Apotheken, da der Motor mit Waschbenzin (Ligroin) angetrieben wurde. In Wiesloch kaufte Bertha Benz gleich mehrere Liter für die Weiterfahrt. Die Stadt-Apotheke Wiesloch existiert übrigens heute noch und ist als erste Tankstelle der Welt eine Touristenattraktion.


Trotz all dieser Umstände und Widrigkeiten ließen sich die drei heimlichen Ausflügler nicht entmutigen. Am Ende eines langen und heißen Augusttages erreichten sie Pforzheim: verdreckt, verschwitzt und glücklich. Und es sollten noch viele Jahrzehnte vergehen, bis das Automobil fester Bestandteil der weltweiten Mobilitätskultur wurde.


Immer mehr Autos – immer mehr Verkehr

Heute ist das Auto sicherer und komfortabler als je zuvor. Von Baujahr zu Baujahr übertrifft der Motor seine Leistungsstärke. Ingenieure tüfteln in Soundlaboren sogar am Klang des Motors – bin hin zum Geräusch der zuklappenden Autotür.

 

Aus dem einstigen Motorwagen ist ein privater Rückzugsort geworden. Das Auto ist mobiles Büro und Wohnzimmer, in dem der Fahrer tun und lassen kann, was er will: Musik hören, telefonieren, aufs Gaspedal treten oder das Alleinsein genießen. Das Auto ist ein ständiger Begleiter: ein treuer Kumpel, der immer da ist und nie widerspricht. Und oft ist das Auto die beste Alternative, um von A nach B zu kommen.

 

Daher dürfte es niemanden überraschen, dass der Anteil der Pkw kontinuierlich wächst. Laut Kraftfahrtbundesamt waren in Deutschland 2024 fast 50 Millionen Pkw zugelassen. So viele, wie noch nie. Jedes Jahr werden die Straßen noch ein wenig voller, die Staus noch etwas länger und die Nerven der Verkehrsteilnehmer immer dünner.

 

Und die Innenstädte wurden für dieses Pkw-Aufkommen nicht gebaut. Enge, verwinkelte Gassen, Einbahnstraßen und knappe Parkmöglichkeiten zeigen, dass der Autoverkehr an räumliche Grenzen stößt. Immer mehr Fahrzeuge müssen sich den öffentlichen Raum mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen. Aus der grenzenlosen Freiheit ist Enge geworden. Fahr-Lust mutiert zu Fahr-Frust.

 

Wege aus dem Verkehrskollaps

Weltweit versuchen Großstädte, den wachsenden Autoverkehr mit regulierenden Maßnahmen zu bewältigen. Hier kommen 5 interessante Beispiele:


  1. In London gibt es für viele Innenstadtbereiche eine City-Maut und eine Umwelt-Maut: mit 27 Pfund pro Tag sind Sie dabei.
  2. Singapur deckelt die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge. Mehr werden nicht zugelassen.
  3. Stockholm erhöht die Parkgebühren, dass es weh tut.
  4. Oslo baut hunderte Parkplätze in der Innenstadt ab, damit die Fußgänger mehr Platz bekommen.
  5. Paris soll zur „Stadt der fünfzehn Minuten“ werden. Die Bewohner sollen ihre Besorgungen in nur 15 Minuten erledigen können – ohne Auto. Dafür wird die Innenstadt fußgänger- und radfahrer-freundlich umgestaltet.
 

Verkehrswende attraktiv machen

Maßnahmen wie diese sind am wirksamsten, je attraktiver die Alternativen zum Auto sind. Wie ausbaufähig die vorhandenen Alternativen sind, sehen wir bei den Berufs-Pendlern. Wer lange auf den Anschluss-Bus warten muss oder für die Strecke doppelt so lange braucht, wird lieber das Auto nehmen.

 

Wie das Statistische Bundesamt ermittelte, ist das Auto für Berufspendler das mit Abstand am häufigsten genutzte Verkehrsmittel. 68 Prozent der Pendler fuhren 2016 mit dem Pkw zur Arbeit. Denn trotz Stau ist das Auto oft schneller als Bus oder Bahn. Obwohl das ÖPNV-Netz in den Innenstädten recht gut ausgebaut ist.

 

Mit Kooperationen gegen den Stau

Die großen Lücken zeigen sich am Stadtrand, im Umland und in der ländlichen Region. Dort sind bessere Konzepte gefragt – und ein wesentlicher Schlüssel liegt in der Kooperation. Dazu 3 Gedanken.


  1. Wenn benachbarte Verkehrsverbünde verstärkt miteinander kooperieren, lassen sich Lücken im gemeinsamen ÖPNV-Netz schließen. Wo man auf guten Austausch Wert legt, können kreative Lösungen entstehen.
  2. Im direkten Kontakt mit den Kunden lässt sich klären, welche Nachfrage es gibt und wo es klemmt.
  3. Gleichzeitig sollte das Potenzial der mobilen Vernetzung besser ausgeschöpft werden. Es fehlt eine gemeinsame Mobilitäts-Plattform, wo alle Anbieter als eine Mobilitäts-Familie unter einem Dach zusammenarbeiten. Wo Nah- und Fernverkehr, Mitfahrzentralen und Sharing-Anbieter, Taxi- und Shuttle-Unternehmen, Stadt und Land alle Daten in einer gemeinsamen App zusammenführen. Der Nutzer gibt nur noch Start und Ziel ein – und wählt unter den Angeboten seine Route aus. Technisch ist eine solche App machbar. Sie funktioniert, wenn alle Anbieter ihre Daten datenschutzkonform zur Verfügung stellen und aktualisieren, damit die Mobilitäts-Plattform immer auf den neusten Stand ist.
 

Weniger Verkehr durch autonomes Fahren?

Und was ist mit den autonomen Fahrzeugen? Könnten sie das Verkehrsauskommen in den Städten reduzieren?


Angenommen, immer mehr Fahrzeuge wären miteinander vernetzt und autonom unterwegs: das hätte viele Vorteile. Es gäbe weniger Unfälle. Sie kämen entspannt ans Ziel. Nicht-fahrtüchtige Menschen wären wieder mobil. Und selbst Kinder könnten Auto fahren. Was wären die Folgen?


Laut einer Studie des Instituts für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich würde der Verkehr in den Städten nicht abnehmen, sondern sogar wachsen. Weil das komfortable Autofahren den Wunsch erzeugt, noch mehr damit zu fahren. Was angenehm ist, nutzen wir öfter. Das ist der sogenannte „Rebound-Effekt“. Einen Rückgang des Verkehrsaufkommens konnten die Wissenschaftler nur für den Fall ermitteln, wenn autonome Fahrzeuge im ÖPNV oder in autonomen Taxi- oder Shuttle-Flotten eingesetzt würden – nicht jedoch als Privatfahrzeuge.


Von Amsterdam und Kopenhagen lernen

Sehen wir uns abschließend noch einmal die Berufspendler an. Bei rund der Hälfte der Pendler beträgt die Entfernung zur Arbeitsstätte weniger als 10 km. Für sie bietet sich eine gesunde und preiswerte Alternative an. Warum nicht mit dem Rad zur Arbeit fahren? Wer Rad fährt, ist viel an der frischen Luft und bewegt sich mehr, anstatt nach dem Bürojob schon wieder im Auto zu sitzen. Je attraktiver das Radwegenetz ist, desto mehr Pendler werden das Radfahren für sich emtdecken.


Amsterdam ist eine der fahrradfreundlichsten Städte weltweit. Das Stadtzentrum ist komplett barrierefrei. Sie kommen ruckzuck von A nach B. Da macht Radfahren einfach Spaß. Auch in Kopenhagen ist das Fahrrad das attraktivste Fortbewegungsmittel in der Innenstadt. Schon in den 80er Jahren hat man angefangen, auf den Hauptstraßen abgetrennte Radwege anzulegen. Je fahrrad-freundlicher Kopenhagen wurde, desto mehr nahm der Radverkehr zu und der Autoverkehr ab. Inzwischen sollen viele Radwege auf 4 m verbreitert werden.


Die fahrradfreundlichsten Großstädte der Welt werden im so genannten „Copenhagenize Index“ aufgelistet. Er untersucht und bewertet internationale Großstädte ab 600.000 Einwohnern nach ihrer Fahrrad-Freundlichkeit. Unter den Top 20 waren 2019 übrigens auch 3 deutsche Großstädte: Bremen, Berlin, Hamburg.


Fazit: Neues einfach mal ausprobieren!

Eine Verkehrswende gelingt nur, wenn jeder Einzelne bereit ist, neue Konzepte auch mal auszuprobieren.


Es geht nicht darum, Autofahrer an den Pranger zu stellen. Es geht darum, Alternativen anzubieten und diese nutzerfreundlich zu gestalten. Am Anfang ist das Neue immer ungewohnt. Vielleicht ermutigt ja das Beispiel von Bertha Benz und ihren Söhnen. Sie hat gezeigt, dass Hindernisse noch so groß sein können. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

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